Pflegeheime und Demenz
- Hagr Arobei

- 29. Sept.
- 3 Min. Lesezeit

Die Verbreitung von Demenzerkrankungen in der Bevölkerung ist in hohem Masse altersassoziiert.
Während Demenzen unterhalb von 65 Jahren nur selten auftreten, kommt es ab dem 65. Lebensjahr zu einer Zunahme von Prävalenz und Inzidenz demenzieller Erkrankungen. Vor allem das hohe Lebensalter ist häufig von einer demenziellen Erkrankung begleitet (16 % bei den 80- bis 89-Jährigen und mehr als 40 % bei den 90-Jährigen und älteren Menschen).
Eine 2010 durchgeführte Studie bei Heimbewohnenden in 14 Kantonen der deutschsprachigen Schweiz und dem Tessin liess erkennen, dass gut 65 % der Heimbewohner/innen entweder eine ärztliche Demenzdiagnose oder eine kognitive Beeinträchtigung aufwiesen, welche auf das Vorliegen einer Demenz deuteten (Demenzdiagnose plus Demenzverdacht). In den letzten 15 Jahren hat sich der Trend, dass vor allem alte Menschen mit hirnorganisch bedingter Pflegebedürftigkeit in ein Alters- und Pflegeheim wechseln, noch verstärkt. Und auch in nächster Zukunft ist mit einem erhöhten Anteil an Heimbewohnenden mit demenziellen Symptomen zu rechnen; einerseits, weil eine Erhöhung des Eintrittsalters die Wahrscheinlichkeit hirnorganischer Probleme erhöht, und andererseits, weil – vorläufig – somatische Erkrankungen im Alter besser behandelbar sind als demenzielle Erkrankungen.
Die Inanspruchnahme des Versorgungssystems (Spitäler, Heime) durch Menschen mit demenzieller Erkrankung variiert allerdings, namentlich in Abhängigkeit von somatischen Erkrankungen sowie dem Vorhandensein bzw. der Abwesenheit betreuender Angehöriger. Eine Analyse (2017–2021) von Behandlungsverläufen von Demenzpatient/innen in den letzten vier Lebensjahren vor ihrem Tod liess zwei unterschiedliche Grundkonstellationen erkennen: In einer Grundkonstellation war die Demenzerkrankung die vorherrschende Krankheit, während die körperlichen Gesundheitswerte insgesamt gut waren (63 % der Fälle). In der anderen Grundkonstellation lagen erhebliche somatische Erkrankungen vor, zu denen eine Demenz hinzukam (37 % der Fälle). Vor allem bei schwerer Demenz ist ein geschützter Lebens- und Wohnraum notwendig, etwa im Sinne dezentralisierter Pflegestationen oder überschaubarer Pflegewohngruppen. Ideal sind demenzgerechte Wohnformen, die eine Ausrichtung auf Alltagsaktivitäten erlauben und es dadurch erleichtern, verbliebene Kompetenzen zu mobilisieren und emotionale Zugänge zu öffnen. In den letzten Jahrzehnten wurden deshalb demenzgerechte Versorgungsstrukturen und Wohnformen aufgebaut, die einerseits eine kontinuierliche professionelle Betreuung bieten, die andererseits aber auch ein gemeinschaftsbezogenes Zusammenleben von Demenzkranken ermöglichen, in Anlehnung an vertraute Wohnformen, in denen Sicherheit, Nähe und Geborgenheit vermittelt werden.
Noch mehr als bei körperlich bedingter Pflegebedürftigkeit ist bei der Pflege demenzerkrankter Frauen und Männer deshalb auf Heimstrukturen zu achten, die Wohnen und Pflegen optimal verbinden. Viele Verhaltensprobleme und emotionale Störungen bei an Demenz erkrankten Menschen werden durch Umgebungseinflüsse, also ein der Krankheit nicht angemessen gestaltetes Milieu, verursacht. Demenzangepasste Wohnformen erlauben es, noch vorhandene Ressourcen und Kompetenzen demenzerkrankter Menschen zu mobilisieren, was ihre Betreuung und Pflege wesentlich erleichtert.
Die verminderten kognitiven Fähigkeiten müssen gestalterisch kompensiert werden, etwa durch klare farbliche Markierungen, die verschiedene Wohnbereiche abtrennen. Eine räumliche Orientierung wird durch überschaubare und wohnlich gestaltete Lebensbereiche erleichtert. Offene und frei zugängliche Räume (Korridore, Aufenthaltsbereiche), wo etwas läuft und es etwas zu sehen gibt, sowie wählbare Aufenthalts- und Sitzbereiche motivieren Menschen mit Demenzerkrankungen eher zu Bewegung als geschlossene Räume. Wohnküchen mit Gerüchen und sichtbaren Utensilien können Passivität verhindern, ebenso wirkt sich eine klare alltagsbezogene Tagesstruktur positiv aus. Zwar führen die hirnorganischen Prozesse oft zum Verlust der bewussten Selbstidentität, aber weil das implizite und emotionale Gedächtnis bei demenzkranken Menschen oft noch lange funktioniert, kann Bekanntes eine gefühlsmässige Vertrautheit stützen. Dies kann durch die Möglichkeit, Teile der eigenen Wohnungseinrichtung und damit der eigenen Lebensgeschichte mitzubringen, gefördert werden.
Dinge aus der Vergangenheit oder die gleiche Möblierung wie zu Hause vermitteln emotionale Geborgenheit.
Wichtig sind auch geeignete Bewegungsräume, da Wahrnehmung und Bewegung eng miteinander verbunden sind. Umherlaufen und „Herumnesteln“ sind oft Versuche, sich selbst und die Umwelt wahrzunehmen (zu spüren) und in Kontakt (in Berührung) zu bleiben. Bewegung fördert das Denken und verringert die Anspannung, wogegen zu wenig Bewegungsspielraum Angst und Aggression begünstigt. Sinnvoll sind deshalb längere Rundläufe im Innern, aber auch Bewegungsräume durch speziell angelegte Gärten. Solche Bewegungsräume werden immer wichtiger, da der Anteil an demenzerkrankten alten Menschen ohne starke körperliche Einschränkungen wahrscheinlich weiter ansteigen dürfte.
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