Pflegequalität gezielt fördern – wie Finanzierung und Wirkung zusammenfinden können
- Hagr Arobei
- 26. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Mai
Pflegekosten steigen, der Fachkräftemangel verschärft sich – und immer mehr Menschen stellen sich die Frage, wie Qualität in der Langzeitpflege künftig gesichert und gleichzeitig finanzierbar bleibt.
Martin Eling, Professor für Versicherungsökonomie an der Universität St. Gallen (HSG), spricht im Experteninterview über tragfähige Finanzierungsmodelle, die Rolle von Ergebnisorientierung – und weshalb gezielte Investitionen in Pflegequalität ökonomisch sinnvoll sein können.

Herr Prof. Eling, Ihre Studien zeigen, dass sich die Langzeitpflegekosten bis 2050 nahezu verdoppeln werden. Welche strukturellen oder systemischen Veränderungen sind notwendig, damit Qualität und Finanzierbarkeit künftig Hand in Hand gehen können?
Um Qualität und Finanzierbarkeit in Einklang zu bringen, braucht es einen Dreiklang.
Um Qualität und Finanzierbarkeit in Einklang zu bringen, braucht es aus meiner Sicht einen Dreiklang: Erstens eine gezielte Entlastung professioneller Pflegekräfte durch technologiegestützte Prozesse und eine bessere Aufgabenverteilung. Zweitens stärkere Anreize für Prävention und betreutes Wohnen, um stationäre Pflege zu vermeiden oder zu verzögern. Und drittens eine Neujustierung der Finanzierung, die die Last zwischen Staat, Versicherungen und Individuen fair verteilt – insbesondere auch angesichts der hohen Eigenleistungen.
Inwiefern sehen Sie eine stärkere Ergebnisorientierung in der Vergütung der Langzeitpflege als notwendig – zum Beispiel durch die Berücksichtigung messbarer Resultate wie Bewohnendenzufriedenheit, psychosoziales Wohlbefinden oder Vermeidung sozialer Isolation? Welche ökonomischen Chancen oder Risiken wären mit einer solchen Ausrichtung verbunden?
Es kann ein Hebel sein, um Pflegequalität gezielt zu fördern.
Eine stärkere Ergebnisorientierung – etwa durch Kennzahlen zur Lebensqualität, Zufriedenheit oder Vermeidung von Isolation – kann ein Hebel sein, um Pflegequalität gezielt zu fördern. Ökonomisch gesehen liegt der Vorteil in einer effizienteren Mittelverwendung: Gelder fliessen dorthin, wo sie tatsächlich zu besseren Resultaten führen. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass komplexe Pflegeleistungen zu stark vereinfacht oder standardisiert werden, wenn nur bestimmte messbare Ergebnisse honoriert werden. Hier ist ein ausgewogener, evidenzbasierter Ansatz zentral.
Gibt es aus ökonomischer Sicht gute Gründe, gezielt in Pflegequalität zu investieren – etwa in stabile Teams, individuelle Betreuung oder freiwillige soziale Angebote – obwohl diese kurzfristig höhere Kosten verursachen können?
[...] es handelt sich um präventive Investitionen mit langfristigem Renditepotenzial.
Ja, absolut. Investitionen in stabile Teams, individuelle Betreuung und soziale Angebote können nicht nur die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen erhöhen, sondern langfristig auch Kosten senken – etwa durch weniger Krankenhausaufenthalte oder geringere Personalfluktuation. Ökonomisch gesehen handelt es sich um präventive Investitionen mit langfristigem Renditepotenzial, sowohl finanziell als auch gesellschaftlich.
Der Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den Pflegekosten ist in der Schweiz im internationalen Vergleich bereits hoch. Welche Massnahmen könnten ergriffen werden, um diese finanzielle Belastung zu reduzieren, ohne die Nachhaltigkeit des Systems zu gefährden?
Es braucht eine sozial ausgewogenere Verteilung der Pflegekosten.
Langfristig braucht es eine sozial ausgewogenere Verteilung der Pflegekosten. Denkbar sind etwa obligatorische Pflegezusatzversicherungen mit sozialer Staffelung oder ein Pflegevorsorgefonds, der bereits im Erwerbsalter angespart wird. Gleichzeitig sollten Effizienzreserven im System gehoben werden – etwa durch koordinierte Versorgung, bessere Digitalisierung oder die Reduktion von Fehlanreizen. Entscheidend ist, dass eine Entlastung der Pflegebedürftigen nicht durch eine strukturelle Unterfinanzierung des Systems erkauft wird.
Angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Pflegekosten: Welche Rolle sehen Sie für innovative Technologien, wie Pflegeroboter, und organisatorische Massnahmen, wie die Aufwertung des Pflegeberufs, um die Effizienz und Qualität der Langzeitpflege zu verbessern?
Technologie und Organisation sind kein Selbstzweck, sondern müssen gezielt zur Stärkung menschlicher Pflege eingesetzt werden.
Technologien wie Pflegeroboter oder digitale Assistenzsysteme können Routineaufgaben übernehmen und so Pflegepersonal entlasten – sie sind jedoch kein Ersatz für zwischenmenschliche Nähe. Noch wichtiger ist die Aufwertung des Pflegeberufs: durch bessere Arbeitsbedingungen, Karrieremöglichkeiten und gesellschaftliche Anerkennung. Nur wenn es gelingt, mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen und zu halten, lässt sich die Qualität der Langzeitpflege sichern. Technologie und Organisation sind kein Selbstzweck, sondern müssen gezielt zur Stärkung menschlicher Pflege eingesetzt werden.
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